Sind wir über 40-Jährigen die letzte Generation, die noch einen Großteil ihres (Wochen-) Tages in der Arbeit verbringt? Und wenn ja, ist das schlimm? Ich denke, unsere Kinder werden weniger arbeiten und ich glaube, dass das gut so ist. Zumindest, wenn wir dafür etwas länger erwerbstätig bleiben.
Deutsche wollen weniger arbeiten
„Deutschland, das Land der Selbstverwirklicher und Faulenzer“ titelte das Magazin Cicero im Oktober 2022. In dem Beitrag werden Daten aus dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) zitiert, nach denen 50 Prozent der Männer und 41 Prozent der Frauen gerne weniger arbeiten würden. Die Arbeitszeit würde dann bei den Männern um vier Stunden auf 37 Stunden sinken, bei den Frauen um zwei auf 30.
Arbeitszeit aktuell | Arbeitszeit gewünscht | Verkürzung | Anteil derer, die kürzer arbeiten wollen | |
Frauen | 32 | 30 | 2 | 41 % |
Männer | 41 | 37 | 4 | 50 % |
Längere Arbeitszeit der Männer | 9 | 7 |
Die Umsetzung dieser Ziele würde schon mal die Kluft zwischen den Geschlechtern schließen, bei der Arbeitszeit von jetzt neun auf sieben Stunden und damit auch Unterschiede beim Anteil der Führungskräfte oder beim Einkommen reduzieren. Aber sonst?
Nicht nur vom Cicero wird die sinkende Arbeitsbegeisterung gefürchtet, auch andere Publikationen verweisen auf den Fleiß anderer Länder. Doch ihre Argumente überzeugen mich nicht.
Warum kürzere Arbeitszeiten nicht den Zusammenbruch der Wirtschaft bedeuten
Ja, Deutschland wird mit kürzeren Arbeitszeiten kein Wohlstandswachstum erzielen. Aber das möchten die meisten Menschen ja auch nicht. Sie sind bereit, für weniger Arbeit auch auf Geld zu verzichten.
Deshalb werden die kürzeren Arbeitszeiten auch nicht zu Massenarbeitslosigkeit führen. Natürlich, zwei Menschen mit 20 Stunden Arbeitszeit zu beschäftigten ist vermutlich teurer als eine mit 40 Stunden. Genau weiß man das nicht, bei kürzeren Arbeitszeiten sind die Menschen vermutlich motivierter und weniger erschöpft. Gleichzeitig ist aber mehr Abstimmung nötig, es müssen zwei Menschen geschult werden und unter Umständen benötigt man auch zwei Büros.

Aber bei kürzeren Arbeitszeiten benötigen wir auch weniger Arbeitsplätze und im schlimmsten Fall müssen die Löhne einige Jahre weniger stark steigen als die Produktivität, viel wären sicher dazu bereit.
Die Vorteile kürzerer Arbeitszeiten
Einen Vorteil habe ich ja bereits erwähnt, die Differenz zwischen den Geschlechtern würde sinken. Und beide Geschlechter würden davon profitieren. Aber was noch?
Im Moment ist das Thema Degrowth in aller Munde, also das Schrumpfen der Wirtschaft. Um 50 Prozent müsse die Wirtschaft schrumpfen, behauptet die taz-Journalistin Ulrike Hermann. Ich halte von solchen Phantasien wenig, der Wissenschaftsjournalist Vince Ebert erklärt in seinem Buch „Lichtblick statt Blackout“ recht gut, wie sich Klima und Umwelt auch ohne Schrumpfen schützen lassen.
Aber weniger Wirtschaftswachstum erleichtert die Sache jedenfalls. Je mehr wir arbeiten, desto mehr produzieren wir, zumindest in der Tendenz. Man kann natürlich auch lange arbeiten und trotzdem wenig produzieren, aber das macht keinen Spaß.
Damit bin ich beim nächsten Punkt. Weniger zu arbeiten, erhöht für die meisten Menschen offenbar die Lebensqualität. Nur auf den ersten Blick arbeiten wir heute weniger als vor 40 Jahren. Denn damals war in vielen Familien nur der Mann berufstätig. Selbst wenn der damals 45 statt 41 Stunden arbeitete, wenn die Frau Vollzeit zu Hause war, war die Familienarbeitszeit geringer als heute, wenn sie 32 und er 41 Stunden arbeitet.
Gut, das ist jetzt ein Extrembeispiel. Auch damals gab es schon Paare, in denen beide berufstätig waren. Aber die gestiegene Arbeitszeit der Frauen sollte eine geringere der Männer zur Folge haben.
Hinzu kommt, dass wir heute auch einfach mehr Ablenkung haben als früher. Viele Menschen fühlen sich gestresst, nicht unbedingt, weil sie länger arbeiten, sondern weil heute so viele andere Dinge unsere Zeit wollen. Smartphones, Computer, Streaming.
Deshalb ist es an der Zeit, kürzere Arbeitszeiten zu begrüßen, statt sich davor zu fürchten.
Gibt es gar keine Probleme?
Nun möchte ich nicht verschweigen, dass kürzere Arbeitszeiten auch Probleme mit sich bringen. Es ist nicht, wie so oft behauptet, der Kapitalismus, der das Problem ist, sondern im Gegenteil der Staat. Der hat nämlich eine Menge Schulden, nicht nur offensichtliche, sondern auch versteckte in Form von Rentenansprüchen.
Schon weniger Wirtschaftswachstum könnten das System zum Schlingern bringen. Aber das Problem ist beherrschbar.
Zunächst halte ich eine längere Lebensarbeitszeit für sinnvoll. Viele werden jetzt sagen: dann lieber jetzt länger arbeiten. Wer das möchte, darf das auch tun, für die meisten Menschen ist das aber eine schlechte Idee. Denn erfahrungsgemäß sind Rentner schon bald nach dem Renteneintritt kein bisschen zufriedener. Es kommt schnell die große Langeweile und gerade bei Männern auch nicht selten der frühe Tod. Wer vor dem Renteneintritt stirbt, würde ohnehin profitieren.
Die alte Idee von der Altersteilzeit ist in meinen Augen nach wie vor aktuell – und zwar so, wie sie ursprünglich geplant war, als echte Teilzeit, nicht als „Blockmodell“. In der Arbeitswelt der Zukunft könnte die Wochenarbeitszeit dann bei 35 Stunden liegen und ab 55 dann auf 24 Stunden sinken, dafür arbeitet man etwas länger. Die unter 60-Jährigen hätten so mehr Zeit und die Älteren weniger Langeweile.
Kommt die kürzere Arbeitszeit wirklich?
Als ich Schüler war, klagte ein Lehrer über die damalige Arbeitszeitverkürzung. Erst habe man sechs Tage gearbeitet, dann sei der Samstag zur Hälfte frei gewesen, dann ganz und mittlerweile arbeite man auch am Freitag nur den halben Tag. Bald werde der auch frei sein.
Es kam anders, ich habe in meinem Berufsleben meist freitags ganz normal gearbeitet oder nur geringfügig kürzer, aber niemals nur bis zum Mittag. Die Arbeitszeit wurde teilweise sogar erhöht. Deshalb zweifeln viele, ob dieses Mal die Arbeitszeitverkürzung wirklich kommt.
Aber wie erwähnt, gab es ja schon deutliche Arbeitszeitverkürzungen. Zwischendurch schien es, als sei mit 40 Stunden jetzt ein Niveau erreicht, das für die Menschen passe, als wollten sie gar nicht wirklich weniger arbeiten. Aber das scheint sich geändert zu haben.
Die Gründe habe ich ja oben bereits erwähnt, ich zähle sie hier aber noch mal auf:
- Kürzere Arbeitszeiten bedeuten weniger Produktion und das entlastet die Umwelt.
- Frauen bieten heute auf dem Arbeitsmarkt mehr Arbeit an.
- Neue Zeitfresser wie Smartphones, Streaming und Computer möchten unsere Zeit.
In den vergangenen 30 Jahren kamen viele neue Produkte auf den Markt, die Menschen haben wollten. Daher mussten sie weiterhin viel arbeiten, um sich diese leisten zu können. Aktuell sehe ich eher ein gesellschaftliches Klima, das Bescheidenheit und Konsumverzicht fordert.
Deshalb glaube ich, dass unsere Kinder weniger arbeiten werden als wir und dass es gut so ist.